Die islamische Welt gerät in Bewegung

Endlich wird auf höchster Ebene um das Wesen des Islam gerungen

Die ehemaligen Unterstützer der Dschihadisten des Islamischen Staates gehen auf Distanz. Jordanien und Saudi Arabien sind die Gotteskrieger eine Gefahr geworden. Sie eliminieren nicht nur die Feinde der Sunniten. Sie lehnen die bestehende Staatsordnung der islamischen Welt ab und stellen sich so gegen die Königshäuser. Das uralte Problem des Kalifats und der Staatsmacht, das von Anfang an die islamische Welt gespaltet hat (Kharidschiten, Schiiten, Stürze der Umajjaden, Abbasiden, Seldschuken, Fatimiden etc.) ist heute noch ein latentes Problem in der islamischen Welt. Sind die Königshäuser, Emiraten, Sultanaten und sonstige Staatsformen seit den Umajjaden legitime Formen der islamischen Gesellschaft? Die Vertreter der Kalifatsidee wollen diese Staatsformen abschaffen und zum Kalifat zurückkehren. Hier ist noch gar nicht die Rede von neuen Staatsformen wie Demokratie… Die bestehenden politischen Mächte bekommen es mit der Angst zu tun und beginnen auf Distanz zu gehen zu den konservativsten islamischen Kreisen. Das Königshaus der Ibn Saud hat den Großmufti Saudi Arabiens schon im Herbst 2014 öffentlich gerügt dafür, dass junge Menschen sich dem bewaffneten Dschihad anschließen und hat die Teilnahme mit einer Haftstrafe belegt. Seither warnt der Großmufti davor. Aber auch ein bin Ladin war Saudi Araber…

 

Die Probleme in der Islamischen Welt sind unübersehbar. Libyen versinkt im Chaos. Die Machtfrage lässt das Land im Vakuum nach Gaddafi nicht zur Ruhe kommen. Der Libanon und Jordanien bereiten sich schon vor auf die Rückkehr der Gotteskreiger aus Nordirak und Syrien. Im Maghreb ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Der Sudan hat sich in einen islamischen Norden und vorwiegend christlich geprägten Süden gespaltet. Nigeria könnte das demnächst auch bevorstehen. In Indonesien gibt es Provinzen wie Aceh, die nach der Scharia regieren wollen, andere Gebiete sind von Toleranz geprägt. Wieder andere werden nach und nach islamisiert (Papua Irian Jaya). An beiden geographischen Enden des Riesenstaates brodelt es. Die Türkei hat sich vom Europakurs verabschiedet und entfernt sich zunehmend von den laizistischen Idealen Atatürks. Wie sieht es in stabileren islamischen Staaten aus? Zwei der größten (neben Indonesien) sind Pakistan und Ägypten.

 

In Pakistan hat am 6.1.2015 das Parlament und der Senat die 21. Verfassungsänderung einstimmig beschlossen (die Vertreter der Islam Partei JI und der Islam Gelehrten Parte JUI beteiligten sich nicht an der Abstimmung), wonach Terrorismusverdächtigte aus der Bevölkerung künftig vor Militärgerichte gestellt werden können. In bewegten Reden beteuerten Vertreter der Parteien ihre Loyalität zum Islam aber auch die Notwendigkeit der Bekämpfung des durch ihrer Meinung nach falsch verstandenen Islam inspirierten Terrors. Das Land ist durch die Erstarkung der innerpakistanischen Taliban und anderer extremistischen islamischen Elemente zum Handeln gezwungen, wenn die parlamentarische Demokratie in irgendeiner Art und Weise erhalten werden soll.

 

In Ägypten herrscht nach der Entgleisung der Revolution und dem Putsch der Militärs als Präsident der ehemalige Feldmarschall Abdel Fattah Al-Sisi. Er schritt ein, um die Islamisierung des Staates durch die Muslimbrüder zu verhindern. In seiner Neujahrsansprache vor dem Ministerium für islamische Angelegenheiten gehalten an der höchsten islamischen Rechts- und Bildungsinstanz der sunnitischen Welt, der Kairoer Al-Azhar Universität, nahm er sich kein Blatt vor den Mund. Er forderte eindringlich eine Neuausrichtung des islamischen Denkens und einen Abschied vom herkömmlich verstandenen Islam, um nicht die ganze Welt gegen die Muslime aufzuwiegeln.

Hier der relevante Ausschnitt aus seiner Rede, übertragen aus der englischsprachigen Übersetzung von Michele Antaki:

 

An dieser Stelle nehme ich Bezug auf die religiösen Gelehrten. Wir müssen scharf über das nachdenken, was sich uns als Aufgabe stellt. Ich habe bereits in der Vergangenheit ein paarmal schon darauf Bezug genommen. Es ist undenkbar, dass die Denkweise, die wir für heilig halten, die gesamte Umma (islamische Welt) zu einer Quelle der Angst, der Gefahr, des Tötens und der Zerstörung für den Rest der Welt werden ließe. Unmöglich!

Jenes Denken – ich sage bewusst „Denken“ und nicht „Religion“ – jener Korpus an Texten und Ideen, die über die Zeit für so heilig gehalten worden sind, dass ein Abschiednehmen von ihnen fast unmöglich erscheint, bringt die ganze Welt in Aufruhr. Es bringt die ganze Welt in Aufruhr (erg.: gegen uns)!

Ist es möglich, dass 1,6 Milliarden Menschen (gemeint sind die Muslime der Welt) den Rest der Erdenbewohner umbringen wollte – 7 Milliarden – damit sie selbst am Leben bleiben? Unmöglich!

Ich spreche diese Worte hier an der Al-Azhar vor dieser Versammlung von Gelehrten und Ulema (Autoritäten der islamischen Rechtswissenschaften) – der allmächtige Allah sei Zeuge Eurer Wahrheit am Tag des Gerichts im Blick auf das, was ich jetzt rede.

All das, was ich Ihnen jetzt sage, können Sie nicht fühlen, wenn Sie in jenem Denken verhaftet bleiben. Sie müssen aus sich heraus gehen, um es wahrnehmen zu können und aus einer aufgeklärteren Perspektive zu betrachten.

Ich sage es und wiederhole noch einmal, dass wir eine religiöse Revolution brauchen. Sie, die Imame (religiösen Führer) tragen Verantwortung vor Allah. Die ganze Welt – ich wiederhole – die ganze Welt wartet auf Ihren nächsten Schritt… denn diese Umma wird zerrissen, sie geht verloren – und das durch unsere eigene Hand.“

 

Es kommt Bewegung in die islamische Welt – ein Tauziehen zwischen den Traditionalisten – hauptsächlich die Islamgelehrten – und den Modernisierern – hauptsächlich die Politiker und Militärs. Zu befürchten ist, dass die innerislamischen Kämpfe zunächst an Heftigkeit zunehmen werden.

 

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