Vor 50 und 500 Jahren gab es große Durchbrüche
Noch bevor dieses Jahr zu Ende geht, wird es 50 Jahre her sein, dass der südafrikanische Chirurg Christiaan Barnard zum ersten Mal in der Geschichte erfolgreich das Herz eines Menschen auswechselte. Der Erfolg war zwar relativ – sein Patient lebte nur 18 Tage – aber seither haben zigtausende Menschen ein „neues“ Herz bekommen. Das Problem dabei ist, dass das „neue“ Herz eben doch nicht neu ist. Auch wenn das Spender-Herz von einem jüngeren Menschen stammt, ist es doch nicht neu, sondern schon „gebraucht“ und anfällig für den gleichen Alterungsprozess wie das Herz, das funktionsuntüchtig geworden war und ausgetauscht werden musste. Das Leben der Meisten, die eine Herztransplantation bekommen haben, wird inzwischen durchschnittlich um 10 Jahre verlängert. In seiner Autobiografie machte Barnard aber auch auf ein anderes Problem aufmerksam. Durch den ganzen Medienrummel, die Partys und Affären mit der „Jet Set“ – den Promis seiner Tage – die Audienzen mit dem Papst und Staatsoberhäuptern, durch das und anderes mehr hat er zwar seinen Ego gefüttert, aber seine Familie vernachlässigt. Die Reue kam zu spät. Er tröstete sich damit, dass er keinen seiner Patienten je im Stich gelassen hätte…
Gott schenkt schon länger neue Herzen
Der weltberühmte Chirurg hätte selbst ein neues Herz gebraucht, ein Herz, das weiß was zu tun ist, ein Herz das nicht nur an sich, sondern auch an andere denkt. Ein Herz, wie wir alle eines bräuchten. Solche Herzen können Menschen nicht transplantierten, nicht neu machen. Das kann alleine Gott. Die Jahreslosung von diesem Jahr erzählt davon:
Gott spricht: Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch. Ez 36,26
Dies ist der Kern vom Versprechen Gottes an sein Volk Israel (genauer, die Stämme Juda und Benjamin), das in der babylonischen Gefangenschaft verschleppt und fern der Heimat war. Aber Gott macht in den davor und danach kommenden Sätzen unmissverständlich klar, dass er dies um seinetwillen, um seiner Heiligkeit willen tut. Was sollen die Heiden von ihm denken, wenn er sein Volk in der Bedrängnis hängen lässt? Aber um seiner Heiligkeit willen muss sich auch etwas am Volk ändern, am Volk, dem er am Anfang des gemeinsamen Weges durch die Geschichte den Auftrag gab: Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig (3Mose 19,2 et al.). In gerade diesem Zusammenhang verspricht Gott nicht nur die Reinigung von der Schuld, die das Volk auf sich geladen hat, sondern auch eine neues Herz und einen neuen Geist, damit die Beziehung zwischen ihm und sein Volk nicht gestört ist. Das steinerne Herz soll mit einem „aus Fleisch“ bestehendes, bewegliches und bewegtes Herz ausgetauscht werden. Das Neue Herz und der Geist Gottes selber sollen aus seinem Volk Menschen machen, die seine „Rechte halten und danach tun“. So wird er zu Gott für sein Volk sein. Gott will die Beziehung zum Menschen. Das Problem liegt darin, dass der Mensch nicht im gleichen Maße an dieser Beziehung interessiert ist. Es geht um eine verschmähte Liebe. Das ist der Rote Faden, der sich durch die Bibel zieht. Gott liebt den Menschen und tut alles, um seine Liebe zu gewinnen – mal werbend, mal drohend, mal lohnend, mal strafend. Es ist ein großes Drama, nach dem die Weltliteratur ihren Stoff modelliert. Am Kreuz von Golgatha und bei der Wiederkunft Christi zum Weltgericht findet dieses Drama seine Höhenpunkte.
Gottes Herz sucht Menschenherzen
Gott leidet darunter, dass wir Menschen, die er als seine gegenüber erschaffen hat, solche harten Herzen haben. Was meint die Bibel, wenn sie von „harten Herzen“ spricht? Geht es darum, dass wir nicht genügend Empathie zeigen, oder dass unsere Brutalität anscheinend grenzenlos ist? Jesus selbst sagt vom Menschenherzen: Was aber aus dem Mund herauskommt, das kommt aus dem Herzen, und das macht den Menschen unrein. Denn aus dem Herzen kommen böse Gedanken, Mord, Ehebruch, Unzucht, Diebstahl, falsches Zeugnis, Lästerung (Mt 15:18f). Sicherlich gehören diese und viele andere Dinge zu einem harten Herzen – aber das sind nur Symptome und nicht Diagnose. Dazu ein Beispiel: Arteriosklerose ist eine Krankheit, die mehr Menschen in der entwickelten Welt tötet als sonst irgend eine. Es ist eine Krankheit, die unter anderem zu Atemlosigkeit, Schwäche, Thrombose, Angina pectoris, Herzinfarkt, Schlaganfall oder plötzlichen Herztod führen kann. Die Ursache all dieser Symptomen aber ist die Verhärtung der Schlagader am Herz.
Das verhärtete Herz kann nicht mit Weichmachern fit gemacht werden. Es braucht ein neues Herz
Gott will keine Symptome bekämpfen oder unterdrücken. Ein verhärtetes Herz muss weg. Es braucht einen Ersatz – ein neues Herz muss her! Es geht nicht darum, dass wir durch besonderen Fleiß oder noch größere Mühe unser Verhalten verändern. Vielmehr geht es darum, dass Gott uns ein neues Herz schenken will. Ein Herz, das nicht von Grund auf krank ist. Gott will und sein Herz schenken, das von sich aus zu ganz anderem und neuem fähig ist. In erster Linie geht es um ein Herz, das die Beziehung zu ihm will.
In der Sprache der Bibel bezeichnet das Herz den Menschen in seiner Identität, in seiner Persönlichkeit. Das Herz ist der Sitz nicht nur der Gefühle, sondern auch der Gedanken. Das Herz macht Beziehungen zu einem Gegenüber möglich, oder es verhindert diese. Darum geht es mit dem neuen Herzen. „Hartherzigkeit“ beschreibt den Zustand unserer Herzen, wo Gott uns egal ist. Im Alten Testament wurde das immer wieder betont: Wegen ihrer Hartherzigkeit wandten sich die Menschen von Gott ab und sind anderen Göttern nachgelaufen.
Wir haben vergessen, dass wir Gott vergessen haben
Gleich mehrere Menschen haben treffend über unsere Zeit festgestellt: „Wir haben vergessen, dass wir Gott vergessen haben“ (u.a. Pfr. Alexander Garth, Prof. Wolf Krötke und die Bischöfe Axel Noack und Heiner Koch). Was zunächst im Blick auf die neuen Bundesländer so festgehalten wurde, gilt zunehmend auch für die ganze Republik. Für die meisten Menschen ist Gott überhaupt kein Thema mehr. Die atheistische Erziehung und der Machbarkeitswahn der Wohlstandsgesellschaft haben Gott weitestgehend aus dem gesellschaftlichen Diskurs, der Gedankenwelt des Einzelnen und den Herzen der Menschen ausgegrenzt. Diese Missachtung Gottes ist die eigentliche Herzenskrankheit der Menschen, auch in unseren Tagen. Wir scheinen es immer wieder zu vergessen, dass Gott uns als Gegenüber für sich geschaffen hat und dies der eigentliche Sinn hinter der Erschaffung der Erde und des Weltalls ist. Gott will die Beziehung zu uns. Es soll ein Herzensanliegen sein, eine Angelegenheit des Herzens für uns, wie es auch für ihn eine ist. Das ist der Sinn unseres Lebens.
Haben wir in diesem Jubiläumsjahr wirklich Grund zum Feiern?
Vor 500 Jahren am Vorabend von Allerheiligen soll Martin Luther seine 95 Thesen als Aufforderung zu einem öffentlichen Streitgespräch an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg angebracht haben. Von diesem Tag an rechnen wir den Beginn der Reformation. Heute, 500 Jahre später, würde es uns gut anstehen, uns mit diesen Thesen auseinander zu setzen. Darin geht es um die gestörte Beziehung des in Sünde verstrickten Menschen zu Gott und um den Weg des Glaubens, der Vergebung und der Gnade, auf dem die Beziehung wieder hergestellt werden kann.
Auch im Jahr 2017 sind wir dazu da, unser Leben vor Gott und in Beziehung zu Gott zu gestalten. Dazu gehören selbstverständlich die Übernahme von Verantwortung für diesen Planeten, die Ausübung unseres Herrschaftsauftrags, die kreative Gestaltung des Lebens auf der Erde und vieles andere mehr. Der Kern unserer Beziehung zu Gott ist aber das Vertrauen in seine Gnade und seine Führungen. Jesus hat das Nachfolge genannt. Auch der Prophet Jeremiah verkündet die gleiche Verheißung einer grundsätzlichen Herzensänderung „…das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der Herr: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein und ich will ihr Gott sein. Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: »Erkenne den Herrn«, sondern sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der Herr; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken“ (Jeremiah 31,33f).
Der in sich verkrümmte Mensch
In diesem Jubiläumsjahr 2017, wo wir 500 Jahre Reformation feiern, steht der Reformator Martin Luther im Mittelpunkt vieler Reden, Predigten, medialen Auftritten und Schriften. Für Martin Luther lag die Grundmisere der menschlichen Existenz darin, dass der Mensch „in sich selbst verkrümmt“ ist. Nicht nur deswegen, weil wir eine permanente Nabelschau betreiben, sondern auch deswegen, weil wir unseren Blick nicht nach oben richten, nicht auf Jesus schauen, den Anfänger und Vollender unseres Glaubensweges. Der Mensch ist in sich selbst gekrümmt und sieht nur sich – er ist für sich zum Maß aller Dinge geworden. Wo Menschen sich selbst zu Gott gemacht haben, sind sie auch auf sich selbst angewiesen. Wer nicht an Gott glaubt kann auch nicht vertrauen – er muss sich selber absichern. Unsere Absicherungswahn steht in direktem Verhältnis zu unserem Mangel an Vertrauen.
Gott will dass wir unser Leben im Vertrauen auf ihn gestalten. Er will, dass wir mit ihm rechnen. Er beschreibt es als Herzenshärtigkeit, wenn unser Herz nicht auf ihn ausgerichtet ist. In diesem Sinne haben wir auch heuer, 2017, 500 Jahre nach dem Thesenanschlag Luthers nicht viel zu feiern. Wenn wir nur die ersten drei Bitten des Vaterunsers im kleinen Katechismus Martin Luthers aus dem Jahr 1529 anschauen, dann sehen wir, dass es Luther gerade darum ging, dass Gott in unserem Leben vorkommt: dass sein Name auch bei uns heilig werde, dass sein Reich auch zu uns komme, und schließlich dass sein Wille auch bei uns geschehe. Luther hat einen gnädigen Gott bekommen. Als begnadigter, vergebener Sünder erlebte er, wie Gott sich ihm zugewandt hat. Im Glauben allein, durch die Schrift allein, allein aus Gnaden, allein durch Jesus Christus hat er eine Beziehung zu Gott bekommen. Nüchtern betrachtet könnten wir sogar mit diesem Jubiläum das Ende der Epoche des reformatorisch-evangelischen Glaubens begehen.
Natürlich gibt es Vieles, wofür wir dankbar sein können – ja müssen. Die Reformation hat uns ja gerade das Vertrauen in Gott, sein Wort, seine Gnade, seinen Christus, sprich: in den Glauben gelehrt. Aber gerade das scheint in der Breite der Bevölkerung immer mehr abhanden zu kommen. Selbst in den Kirchen macht sich eine „Spiritualität“ breit, die auf das eigene religiöse Gefühl ausgerichtet ist und die Verkrümmung in sich selbst nur verstärkt. Wer sich nicht mehr als Sünder sieht, braucht auch keinen gnädigen Gott. Was Bonhoeffer als „billige Gnade“ beschrieben hat ist wieder voll im theologischen Trend. Allenthalben hören wir von Kanzeln und Kathedern, dass ein guter Gott niemanden bestraft. Wir seien alle von Gott geliebte Menschen und seine Kinder – und deswegen „o.k.“. Die objektive Ausrichtung des Glaubens auf den gekreuzigten und auferstandenen Christus als alleinigen Weg zu Gott steht für viele nicht mal mehr als Option zur Debatte, geschweige denn die Notwendigkeit der Buße, der Bekehrung und der Wiedergeburt, um ein Kind Gottes zu werden.
Ein Kind Gottes hat seinen Geist
Aus dem evangelischen Anliegen ist ein „protestantisches Prinzip“ geworden. An Stelle in Christus einen gnädigen Gott zu bekommen, der die Trennung von Gott und Mensch durch seinen Sühnetod überwand, ist ein „protestantisches Prinzip“ geworden, dass alle Optionen offen halten möchte, die Kirche „nach den Bedürfnissen der Menschen“ zu gestalten. Es ist viel die Rede vom Entstehen einer zivilen Religion, die nicht mehr Bekenntnisorientiert ist, sondern den vermeintlichen Bedürfnissen der Gesellschaft sich anpasst. Auch hier ist der Mensch das Maß aller Dinge. Der in sich gekrümmte Mensch hat Gott und seine Möglichkeiten nicht im Blick und kann deswegen nur verzweifeln. Das ist für Kierkegaard die eigentliche Sünde und „die Krankheit zum Tode“, die eigentliche Herzenskrankheit unserer Tage. Darum schenkt Gott ein neues Herz. Das tut er überall, wo sein Geist den Glauben in einem Menschenherzen weckt. Und damit hängt das zweite Versprechen unserer Jahreslosung zusammen: In die Mitte seines Volkes gibt Gott einen neuen Geist.
Auch der Prophet Joel hat diese Schau bekommen. An Pfingsten ist es dann Wirklichkeit geworden, wo Gott seinen Heiligen Geist auf die versammelten Jünger ausgoss.
Seit Pfingsten gilt: in jedem Christen wohnt der Geist Gottes. Das macht ein neues Leben möglich. Zum neuen Herzen kommt ein neuer Geist. Nicht ein neuer menschlicher Geist, sondern der Geist des lebendigen Gottes! Haben wir das für unser Leben begriffen? Um die Tragweite dieses Geschehens zu verstehen, müssen wir wieder zur Schöpfungsgeschichte zurückkehren. Am sechsten Tag der Schöpfung, als Gott den Menschen schuf, war der grundlegende Unterschied zu allen anderen Lebewesen, zu den Tieren, Fischen und Vögeln der, dass das Leben dem Menschen von Gott selbst eingetaucht wurde. Der Mensch besaß am Anfang göttliches Leben, auf die Ewigkeit angelegtes Leben, ein Leben in Unschuld ohne Verfallserscheinungen. Wo durch die Sünde die direkte Beziehung zu Gott verloren ging, ging auch die Quelle des göttlichen Odems für den Menschen verloren. Es folgte der Tod als unausweichliche Konsequenz dieser Trennung vom Spender des Lebens.
Was die Propheten Ezechiel und Joel vorhergesagt hatten, ist an Pfingsten wahr geworden. Seitdem gibt es wieder Zugang zum Geiste Gottes für den Menschen. Besser gesagt: es gibt Zugang zum Menschen für den Geist Gottes. Gott hat sich den Zutritt zum Menschenherzen teuer erkauft. Jesus hat dafür mit seinem Leben bezahlt. Wo die Sündenschuld beglichen ist, hat der Teufel keinen Anspruch mehr auf den Menschen. Der Weg ist frei für Gottes Geist – für sein Lebensodem. Der Geist Gottes der in uns wohnt und uns und unser Leib zu seinem Tempel macht 1Kor 6 u. 9), der schenkt Glauben und neues Leben. Er macht uns durch die Wiedergeburt (Joh 3) zu Kindern Gottes und vergewissert uns, dass wir Kinder Gottes sind (Röm 8). Es macht einen Unterschied, ob der Geist Gottes in einem wohnt oder nicht. Das wurde auch seit Pfingsten zu allen Zeiten von Menschen bemerkt, die diesen Geist nicht hatten. Es wäre zu wünschen für dieses Jahr 2017, dass unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger, die Migranten und Flüchtlinge, diesen Unterschied an uns Christen merken. Wo ein neues, von Gott geschenktes Herz und sein heiliger Geist uns beseelen, wird es gar nicht anders gehen!