Augenzeugen berichten
(vgl. Was wissen wir von Jesus? (I))
Die Skepsis der Theologen im Blick auf die wirklichkeitsgetreue Darstellung der Ereignisse im Leben Jesu im Neuen Testaments ist unbegründet. Freilich gibt es Fragen, wo sich die Darstellungen der Evangelien sich zu widersprechen scheinen. Da braucht die neutestamentliche Wissenschaft manchmal einen längeren Atem und die Bereitschaft, mit noch ungelösten Problemen zu leben. So etwa die Frage nach dem Kreuzigungstermin, der bei oberflächlicher Betrachtung bei Johannes ein anderer zu sein scheint als bei den ersten drei Evangelien. Erst 2011 konnte der englische Naturwissenschaftler Professor Colin Humphreys von der Universität Cambridge ein wissenschaftlich begründete Lösung dieses Problems vorlegen (inzwischen auch auf Deutsch: Humphreys, Colin J. Die letzten Tage Jesu: und das Geheimnis des Abendmahls. 1. Aufl. Urachhaus, 2012.) Seither hatte die Mehrheit der Neutestamentler angenommen, dass der Bericht des Johannes mit den anderen unvereinbar und deswegen als historische Quelle unbrauchbar sei. Humpreys dagegen ging davon aus, dass diese historischen Zeugnisse des ersten Jahrhunderts erst einmal in ihrem Selbstverständnis ernst zu nehmen sind und dass der scheinbare Widerspruch sich nur uns präsentiert, weil uns zum Verständnis der Situation notwendige Kenntnisse fehlen. Das konnte er auch einleuchtend unter Bewies stellen, indem er die unterschiedlichen Kalendarien des antiken Israel mit Hilfe der astronomischen Wissenschaft rekonstruieren konnte. Gerade das Johannes Evangelium, das als historische Quelle in der Wissenschaft in Misskredit geraten war, betont hartnäckig einen Augenzeugenbericht zu sein und gibt zahlreiche Angaben zu geographischen, zeitlichen und persönlichen Details, die nur Sinn machen, wenn sie als Belege für die Glaubwürdigkeit des Berichts verstanden werden. Überhaupt bemüht sich Johannes nichts von den anderen Evangelien zu wiederholen, es sei denn der Lese braucht eine weitere Perspektive, um das Geschehen im vollen Sinne zu erfassen. So zum Beispiel die Beziehung zu Johannes dem Täufer, die in Johannes am Anfang des Evangeliums eine wichtige Rolle spielt. Auch die Tempelreinigung zu Beginn seines Dienstes und das Interesse mancher aus dem Sanhedrin an seinem Wirken gehören hierher. Alle vier Evangelien wollen als Augenzeugenberichte gelesen und verstanden werden. Dass es mehr als nur ein Evangelium gibt passt in das Schema des jüdischen Zeugenrechtes hinein: Ein Zeuge ist kein Zeuge. Es müssen mindestens zwei sein, die im Wesentlichen übereinstimmen. Mit unseren Evangelien haben wir vier solche Zeugen!
Warum vertraut die Wissenschaft nicht den Evangelien als historische Zeugnisse?
Widersprüche sind nicht der Grund. Die gibt es in jedem Gerichtsprozess. Die können auch Indizien dafür sein, dass es eben kein „abgekartetes Spiel“ unter den Zeugen ist. Anstoß erregen die Wunderberichte und der Selbstanspruch Jesu in den Evangelien.
Es ist schon verwunderlich, dass das größte Wunder der Weltgeschichte, die Fleischwerdung Gottes, ohne Wunder auskommen sollte. Der menschgewordene Gott dürfe nicht auf natürlichem Wege gezeugt sein. Er selber dürfe keine Wunder tun. Und der Bericht von seinem Wirken dürfe keine Fragen offen lassen. Skepsis darf schon sein – selbst die Jünger Jesu waren bisweilen sehr skeptisch. Aber die Möglichkeit der Wunder grundsätzlich auszuschließen ergibt gar keinen Sinn! Zur wunderbaren Geburt und zum Wunder der Auferstehung gehören auch die Wunderberichte aus dem Leben Jesu. Letztlich werden wir aber zu dem wunderbaren an den Evangelien nur dadurch Zugang bekommen, dass wir Gottes Wunder in unserem eigenen Leben erfahren, nicht zuletzt das Wunder der Vergebung, der Wiedergeburt des neuen Lebens in Christus. Das Hereinbrechen Gottes in unsere Welt konnten die Jünger auch nicht im vollen Umfang von Anfang an verstehen, sie mussten selber ihre Erfahrungen mit Jesus machen, mit dem Leibhaftigen und mit dem leibhaftig Auferstandenen. Thomas sei nur als ein Beispiel genannt. Allerdings ist ihr Glaube aufgrund dieser Erfahrungen so stark geworden, dass sie bereit waren, dafür zu sterben! Sie haben das ganz, ganz ernst genommen.
Das Wissen von Jesus hat zwei Ebenen: die der Kenntnis und die der Erkenntnis
Unsere Art und Weise im Albrecht-Bengel-Haus Theologie zu treiben trägt dieser Tatsache Rechnung. Der Glaube ist kein theoretisches Konstrukt, der sich aus Lehrsätzen bildet, sondern ist der Aspekt unserer persönlichen Beziehungen zum lebendigen Herrn, ein Urvertrauen in seine Güte und Gnade, in seine Vergebung und Erlösung, in seine Führung und Fürsorge. Glauben heißt ganz und gar von Jesus Christus abhängig zu sein. Theologische Lehrsätze sind der Versuch, diesen lebendigen Glauben zu beschreiben und zu schützen. Inhaltlich wie geschichtlich ist die Theologie aus der Verteidigung des Glaubens (Apologie) hervorgegangen, nicht umgekehrt!
Noch überzeugt der Jesus, den wir kennen, mehr als irgendein Anderer die Menschen weltweit. Noch ist der christliche Glaube der weltweit am stärksten wachsende Glaube, gefolgt vom Islam und dem praktischen Atheismus/Agnostizismus. Bei uns in Europa ist der christliche Glaube der am stärksten schwindende Glaube – zu Gunsten des Atheismus/Agnostizismus. Das bedeutet, dass während der christliche Glaube bei uns abnimmt, weltweit gesehen Millionen von Menschen jährlich Jesus Christus als ihren Retter kennenlernen.
Was können wir von Jesus wissen?
Genug! Wir wissen über Jesus genug! Genug, um an ihn glauben zu können; genug, um ihn persönlich kennen lernen zu können; genug, um Ihm nachfolgen zu können; genug, um seinen Willen zu erkennen; genug, um durch ihn zu einem neuen Leben wiedergeboren zu werden; genug, um andere Menschen zu ihm hinführen zu können; genug, um Leben und volles Genüge zu haben; genug, um den Frieden, der alle Vernunft überragt, zu haben; genug, um unser Leben ihm zu weihen; genug, um ihn als Herrn unseres Lebens zu haben. All das und vieles mehr haben wir, weil wir Jesus Christus kennen. Zwar machen wir auch unsere persönlichen Erfahrungen mit dem Auferstandenen und durch seinen Geist innewohnenden Christus, aber in erster Linie kennen wir ihn aus der Heiligen Schrift als zuverlässiges Zeugnis. Was können wir von Jesus wissen? Genug, um ein Leben lang ihn besser kennen zu lernen! Und was wissen wir von Jesus? Was können wir von ihm erzählen und weitergeben? Das ist ein großer Auftrag und herrliche Aufgabe: Ihn immer besser kennen zu lernen und das gelernte weitergeben!